Stadt im Gespräch – Jenaer Bürgerinnen und Bürger diskutieren gemeinsam mit VertreterInnen aus Verwaltung und Stadtrat und eingeladenen ExpertInnen über Themen der klimaneutralen und klimagerechten Zukunft. Nach dem sehr erfolgreichen Start Ende Oktober fand nun am 27. November erneut in der VHS der zweite Teil der Reihe statt.
Diesmal wurde das Thema „Stadtentwicklung der Zukunft“ mit Blick auf Hitze, Baumaterialien, Graue Energie und Flächenversiegelung behandelt – mindestens ebenso gesellschaftlich relevant wie das Thema Verkehr der ersten Veranstaltung (Stichwort zukünftig bezahlbarer Wohnraum!).
Zu den eingeladenen Gästen zählten Anton Brokow-Loga von der Bauhaus-Universität Weimar, Frau Lena Saniye Güngör vom Stadtentwicklungsausschuss, Herr Lars Liebe als Ersatz für den verhinderten Christian Gerlitz aus der Verwaltung und Dr. Michael Daffner als Vertreter der Bürgerinitiative „Klimaentscheid Jena“. Im Gegensatz zum ersten Teil der Veranstaltung sollten sich die BürgerInnen und Bürger jedoch nach erfolgter Eröffnungsrunde durch die geladenen Gäste in Kleingruppen selbst über die Themen austauschen, die sie bewegen, sodass diese anschließend – teils sehr kontrovers und emotional – debattiert werden konnten.
Herr Brokow-Loga betonte anhand eindrücklicher Zahlen (z.B. eines bereits jetzt deutlich feststellbaren Anstiegs tropischer Nächte um den Faktor acht!), dass wir endlich vom Reden ins Handeln kommen müssen. Vor allem vulnerable Gruppen, wie z.B. ältere Menschen oder Kinder, seien von diesen Auswirkungen der Klimakatastrophe ganz direkt betroffen. Ihm war vor allem die Differenzierung zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Strategien im Umgang mit sich stetig weiter erhitzenden Städten wichtig – zum einen die Mitigation, also die wesentliche Reduktion anthropogener Treibausgase, und zum anderen die Adaptation, d.h. die Klimafolgenanpassung.
In Bezug auf eine nachhaltige zukünftige kommunale Bauplanung empfahl Herr Brokow-Loga eine Netto-Null-Baustrategie und sprach sich vehement für eine konsequente Entsiegelung in Kombination mit einem merklichen Zuwachs an städtischem Grün aus. Um die Sinnhaftigkeit einer Netto-Null-Baustrategie zu veranschaulichen, nannte er die Entkopplung einer stagnierenden Jenaer Bevölkerungsentwicklung einerseits und einem weiterhin ungebremsten Wachstum an Baufläche andererseits – ein Widerspruch, der u. a. durch die steigende Anzahl an Single-Haushalten in erheblichem Maße verschärft wird. Letzten Endes müsse es auf eine Umverteilung von Wohnfläche hinauslaufen – weniger Wachstum gerade in der Peripherie der großen städtischen Ballungsgebiete und dafür viel mehr ungenutzten Wohnraum innerhalb der städtischen Siedlungsfläche nutzen.
Beim anschließenden zweiten Teil des Diskussionsabends, der die Anregungen der BürgerInnen fokussierte, kristallisierte sich sehr schnell das Thema „aktueller Stand beim Wohnungsleerstand“ heraus, bei dem einzelne BürgerInnen sowie die Stadt in bestimmten Punkten, wie z.B. der Notwendigkeit einer Wohnungstauschbörse für die gesamte Stadt, diametral entgegengesetzte Positionen bezogen. Herr Liebe konnte nicht glaubhaft argumentieren, weshalb es noch keine entsprechende Börse gebe, welche wirklich alle leer stehenden Wohnungen im gesamten Stadtgebiet auflistet – und Frau Güngör bemängelte das Fehlen eines für ganz Thüringen geltendes Leerstandskatasters, welches für
längerfristige Planungen eigentlich unverzichtbar sei. Speziell die als viel zu kurzsichtig empfundene einseitige Wachstumsstrategie der Stadt wurde kritisiert und überdimensionierte und vor dem Hintergrund einer global zukünftigen nachhaltigen Stadtentwicklung nicht mehr zu rechtfertigende Großbauprojekte. Es wurde ersichtlich, dass viele BürgerInnen den Eindruck hatten, die Stadt handle nach wie vor nicht im Sinne einer verantwortungsvollen Baupolitik, die sowohl Klima- als auch Sozialverträglichkeit gleichermaßen im Blick behält.
Bei der Abschlussrunde untermauerte Herr Browow-Loga noch einmal sein Credo, dass die Stadt durch Wachstumsmoratorien und mehr Wohnflächen, über die sie selbst verfügen könne (und die sie aktiv zurückkaufen müsse), ihren Handlungsspielraum zugunsten einer entspannteren Wohnungsmarktsituation steigern könne. Herr Liebe zeigte sich ein wenig versöhnlicher, was eine mögliche Wohnungstauschbörse für die gesamte Stadt anbelangte und versprach, dass die Stadt diese Option neu bewerten werde. Frau Güngör hob noch
einmal ihren Ansatz hervor, dass Soziales und Ökologie stets gleichberechtigt mitgedacht werden müssten. Als Letzter in der Runde kam Herr Dr. Daffner vom Klimaentscheid zu Wort, der ebenfalls die nicht-nachhaltige Baustrategie der Stadt kritisierte und noch einmal eindringlich an die Verantwortung Jenas als reiche Stadt appellierte, ihren Teil zur globalen Klimagerechtigkeit beizutragen.
Die zweite Veranstaltung der Reihe „Stadt im Gespräch“ kann ebenso wie die erste als großer Erfolg gewertet werden, was sich erneut eindrucksvoll an einer regen Beteiligung der BürgerInnen Jenas zeigte – mit mitunter sehr erhitzten Diskussionen, z.B. über die Hitzethematik. Ausgerechnet diese wurde, obwohl eigens im Kontext der Veranstaltung beworben, jedoch nicht stärker thematisiert. Hier wäre zweifellos trotz Zeitplan mehr Flexibilität wünschenswert gewesen, um insbesondere diesem Aspekt, der wie kein zweiter die Bürgerschaft bewegt hat, Rechnung zu tragen.
Besonders positiv zu bewerten ist Herr Brokow-Loga als externer Experte, der überaus kompetent und wortgewandt seine Positionen zu vertreten verstand. Seine Ideen mögen einigen provokant oder zu weitreichend vorgekommen sein (z.B. die Forderung nach Baumoratorien), sind aber vielleicht gerade deshalb genau das, was wir angesichts einer immer stärker eskalierenden (und Menschenleben fordernden!!) Klimakrise benötigen. Eindeutig unterrepräsentiert war die Redezeit von Herrn Dr. Daffner. Hier sollte die Moderation in Zukunft stärker darauf achten, tatsächlich allen Redegästen in gleichem Umfang Wortmeldungen zu gestatten. Alles in allem war es aber wieder einmal ein
gelungener und sehr informativer Abend, der abermals das Potenzial der Reihe aufzeigte.
Der Termin der nächsten Veranstaltung steht noch nicht fest, diese wird aber definitiv erst im Januar kommenden Jahres stattfinden. Wir dürfen neugierig sein, was uns als nächstes erwartet!!