Die verschiedenen Gruppen des Klimabündnis Jena rufen im Hinblick auf die Kommunalwahlen 2024 dazu auf: lasst uns „Jena neu denken – Entwicklung statt Wachstum!“
Wir brauchen für alle nachvollziehbare, sichere Perspektiven unter den Bedingungen sich immer weiter zuspitzender Krisen. Das Klimabündnis Jena findet: wir brauchen eine neue Wachstumsstrategie. Dazu gehört die Neubewertung aller bestehenden Bauvorhaben, eine Nettonull-Regelung hinsichtlich weiterer Flächenversiegelung und ein gesamtheitliches Mobilitätskonzept.
Um sich einen Überblick zu verschaffen, wie einzelne Fraktionen und Kommunalpolitiker*innen sich zu diesen Themen positionieren und was sich in der aktuellen Legislaturperiode getan hat, werden Einwohner*innenanfragen an den Stadtrat veröffentlicht. Außerdem finden regelmäßig Veranstaltungen zum Thema statt. Dazu sind hier Blogbeiträge zu finden.
Unsere Forderungen:
Wachstumsstrategie überarbeiten
Die Wachstumsstrategie in Jena ist gescheitert
Im Dezember 2018 wurde vom Jenaer Stadtrat die „Strategie für Wachstum und Investitionen“ beschlossen. Zentrales Anliegen war dabei die Entwicklung eines Konzepts für die Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen der Stadt Jena, letztlich mit dem Ziel der Schuldenfreiheit bis Ende 2024. Mehrere mögliche Entwicklungsszenarien wurden dafür in der Studie „Szenario Jena 2030“ (1) erarbeitet und dem Stadtrat vorgestellt. Auf der Grundlage dieser Studie beschloss der Jenaer Stadtrat im Dezember 2018 die „Strategie für Wachstum und Investitionen“, in der die Entwicklung Jenas „kausal und untrennbar verbunden [ist] mit einem weiteren Wachstum an Bevölkerung, Wirtschaftskraft und Steueraufkommen – Wachstum und Lebensqualität in unserer Stadt bedingen einander.“ (2)
Es handelt sich also in der Summe um einen rein auf wirtschaftliches Wachstum orientierten, neoliberalen Ansatz. Dieses Herangehen berücksichtigt keinerlei problematische Konsequenzen wie Ressourcenverbrauch, (fossilen) Energieeinsatz, Belastungen durch privaten Verkehr und v. a. m. Explizit qualitative Entwicklungsfaktoren wie Klimaanpassung oder die kommunale Sicherung der Daseinsvorsorge für die Menschen in Jena spielten in der Wachstumsstrategie von vornherein keine oder nur eine marginale Rolle.
Diese Fixierung auf ein rein quantitatives Wachstum negiert die Tatsache, dass kein oder ein negatives Wachstum nicht gleichbedeutend mit Stillstand sein müssen, sondern gerade eine Chance für qualitative Entwicklung sein kann – eine adäquate Reaktion auf die aktuellen Krisen. Stattdessen aber setzen das verantwortungs- und ideenlose Festhalten am Wachstumsdogma noch mehr als 50 Jahre nach Erscheinen des Berichts an den Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums die zukünftige Existenz der Menschheit aufs Spiel.
Eine Zwischenbilanz über die „Strategie für Wachstum und Investitionen“ zeigt im Jahr 2023 zudem, dass die angestrebten Entwicklungsergebnisse nicht eingetreten sind. Die Stadtbevölkerung ist nicht gewachsen, sondern leicht gesunken – eine Situation, die von der beschlossenen Wachstumsstrategie gar nicht abgedeckt wird. Insofern ist unter den gegenwärtigen Bedingungen der Klimakrise und dem 2023 beschlossenen Klimaaktionsplan ein Festhalten an „Szenario Jena 2030“ als Grundlage für die kommunale Entwicklung in den nächsten Jahren nicht haltbar. Ein grundlegender Kurswechsel ist dringend nötig.
Die Bewältigung der Krisen erfordert nachhaltige Entwicklung statt Wachstum
Diese Forderung bedeutet nicht, dass bestimmte Bereiche der kommunalen Entwicklung nicht auch quantitativ wachsen müssen. Ziele, Maßnahmen und Inhalte dürfen sich dabei jedoch nicht vorrangig auf Erhalt und Vergrößerung des materiellen Wohlstands orientieren, sondern müssen Fragen der Lebensqualität aller Bevölkerungsschichten und der Nachhaltigkeit gleichermaßen einbeziehen. (3) Wir fordern eine grundlegende Neuentwicklung der Strategie, weg von einer Wachstums-, hin zu einer Strategie nachhaltiger Entwicklung in Übereinstimmung mit dem Klima-Aktionsplan. Insbesondere ist hier der gesamte Komplex der öffentlichen Daseinsvorsorge zu nennen:
- Sozial leistbares Wohnen einschließlich einer angemessenen vorrangig dezentral organisierten Wärme- und Stromversorgung;
- Angemessene und leistbare Mobilität für alle Menschen in Jena, insbesondere auch für Kinder und Kinder und mobilitätseingeschränkte Menschen;
- Sicherung einer qualitativ hohen und für alle leistbaren sozial- und Gesundheitsversorgung;
- Hohe Lebensqualität unter den Bedingungen des sich verschärfenden Klimawandels, vor allem bezogen auf die zu erwartenden Hitzebelastungen im Sommer und zunehmend wahrscheinliche Extremwetterereignisse.
Damit dies alles effektiv leistbar ist, sollten die Träger dieser Leistungen gemeinwohlorientiert agieren unter Einbeziehung aller Menschen in Jena. Erforderliche Investitionen sollten sich im Ergebnis zuerst an ihrer Tauglichkeit zur Krisenbewältigung orientieren und nicht an einer Renditeerwartung. Damit ist eine Orientierung auf Angemessenheit, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit grundsätzlich gegeben.
Jena ist bekannt als Standort technischer Innovation. Wir sind überzeugt, dass eine Strategie nachhaltiger Entwicklung jenseits klassischer Wachstumsvorstellungen, nicht nur keine Entwicklungsbremse darstellt, sondern vielmehr die Chance birgt, sich auch als Ort außergewöhnlicher gesellschaftlicher Innovationsfähigkeit zu beweisen. Eine Eigenschaft, die in einer Zeit, die entscheidende Transformationen zwingend erfordert, zunehmend an Bedeutung gewinnen wird – auch als Quelle der Strahlkraft eines „Standortes“.
Quellen:
(1) beratungsraum Kommunal- und Unternehmensberatung GmbH, „Szenario Jena 2030“, Jena, 23.01.2018
(2) Strategie für Wachstum und Investitionen, Beschluss des Jenaer Stadtrates vom 12.12.2018
(https://sessionnet.jena.de/sessionnet/buergerinfo/vo0050.php?__kvonr=9238)
(3) Indikatorensystem ganzheitliche Wohlfahrtsberichterstattung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen (https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/indikatorensystem.html)
Nettonull-Flächenversiegelung
Bedingt durch Jenas Tallage ist eine Erweiterung der Siedlungs- und Gewerbefläche der Stadt nur begrenzt möglich, ohne in den Hanglagen in baulich schwierige und ökologisch wertvolle Gebiete einzugreifen. Das geht häufig mit negativen Auswirkungen für die Biodiversität vor Ort einher, worunter u. a. aufgrund der abnehmenden Bodenfruchtbarkeit gerade an den Randgebieten Jenas letztlich auch die Landwirtschaft leidet. Zudem stagniert das Bevölkerungswachstum. Daher ist es notwendig, Beschränkungen auf die Ausweisung von neuem Bauland zu legen, um einen weiteren Anstieg der Pro-Kopf-Wohnfläche in Jena zu vermeiden. Dieser würde sich nämlich aus einer wachsenden Flächennutzung bei in etwa konstant bleibender Bevölkerungszahl automatisch ergeben.
Die Beschränkung der Netto-Neuversiegelung von städtischen Flächen auf Null ist hierfür ein geeignetes Mittel. Flächenversiegelung bedeutet hierbei eine luft- und wasserdichte Abdeckung des Bodens, die bewirkt, dass Wasser kaum oder gar nicht mehr versickern kann und den Gasaustausch zwischen Boden und Atmosphäre hemmt (1). Dadurch müssten zukünftige Bauprojekte platzsparender und vermehrt auf bereits versiegelten Flächen geplant werden und die Nachverdichtung des bereits bebauten Raums würde gegenüber Neubauten “auf der grünen Wiese” priorisiert.
Bauträger von Projekten, in denen Flächenversiegelung stattfindet, müssten verpflichtet werden, eine mindestens gleichwertige Entsiegelung an anderer Stelle im Stadtgebiet nachzuweisen. Auch die Stadt als Bauherrin öffentlicher Bauprojekte wie z.B. dem Neubau oder der Erweiterung von Straßen soll davon nicht ausgenommen werden. Damit ein Anreiz für Entsiegelungsprojekte innerhalb des Stadtgebiets entsteht, können die Nachweise von anderen Projektträgern erworben werden.
Quelle:
(1) https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/bodenversiegelung
Bestehende Bauprojekte neu bewerten
IST-Stand:
2018 wurde vom Jenaer Stadtrat die „Strategie für Wachstum und Investitionen“ beschlossen. Zentrales Anliegen war dabei die Entwicklung eines Konzeptes für die nachhaltige Finanzierung der Stadt mit dem Ziel der Schuldenfreiheit bis Ende 2024. Die Studie „Szenario Jena 2030“ weist 4 skizzierte Wachstumsszenarien auf, deren Schwäche in der einseitigen Fokussierung auf die Entwicklung der städtischen Finanzen liegt.
Nachhaltigkeitsziele, die für eine qualitative Strategie der Stadtentwicklung unabdingbar sind, werden nicht formuliert.
Sieht man von den rein infrastrukturellen Baumaßnahmen ab, wird für die bis 2030 priorisierten städtischen Wohnungsbauvorhaben kein ökologischer Rahmen gesetzt, der für die Realisierung handlungsleitend ist.
Ein Manko ist auch, dass für die großen geplanten Bauvorhaben am Eichplatz und entlang der Straßen Am Bahndamm und Am Anger (Quartier 21, dotSource Campus, Solarquartier) keine ökologischen Vorgaben vom Stadtrat gemacht worden sind. Diese Vorhaben haben jedoch eine hohe Relevanz für das Stadtbild und negative Auswirkungen auf das Mikroklima im innerstädtischen Bereich sowie unmittelbare Folgen für die Umwelt- und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger.
Problem:
Die Innenstadt wird immer stärker aufgeheizt. Für Kinder, Tiere und immungeschwächte Menschen kann der Aufenthalt auf dem heißen Pflaster im Zentrum schnell lebensbedrohlich werden. Die Übersterblichkeit durch Hitze ist belegt.
Das innerstädtische Leben liegt an Hitzetagen brach. Hier fehlen Verweilorte ohne Konsumzwang in Kombination mit mehr Grün, Brunnen und Wasserflächen. Die Zufuhr von Frischluft wird durch die zunehmende Vernichtung von Kleingärtenböden, Verdichtung durch Neubauten und insbesondere Hochbauten erschwert bzw. gar unterbunden. Die Gutachten zu den Baumaßnahmen werden lediglich separat für die einzelnen Baumaßnahmen erstellt. Es ist aber erforderlich, diese immensen Bauvorhaben in ihrer Gesamtheit und ihrer Wirkung auf das städtische Mikroklima und die gesundheitlichen Auswirkungen für die Bevölkerung zu betrachten.
Bereits jetzt ist erkennbar, dass die Ziele des Klimaaktionsplanes so nicht eingehalten werden können.
Abgeleitete Forderungen:
1. Neubewertung aller Bauvorhaben mit Schwerpunkt auf Lebensqualität und Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Klimaanpassung.
2. Ausweisung von Flächen zur Entsiegelung und für Klimaoasen im Entwurf des neuen Flächennutzungsplanes (Grünanlagen, Wasserflächen, Brunnen…).
3. Boden-Wasser-Luft insgesamt in den Fokus für Lebensqualität und Gesundheit nehmen. Sie sind die existentiellen Grundlagen für die Lebensqualität aller Einwohner in Jena.
4. Keine Veräußerung städtischer Grundstücke an private Investoren, denn es engt den politischen Handlungsspielraum zukünftiger politischer Gremien ein.
Mobilitätswende
Kurzfassung:
Die große Menge an Autos, die in der Stadt herumfahren und -stehen, verursacht zahlreiche Probleme, darunter immense Kosten für die Gesellschaft, aber auch diejenigen, denen sie gehören, ein hoher Schadstoff-Ausstoß und die Vereinnahmung des Stadtraums durch Parkplätze.
Unsere Forderungen:
- Deutliche Reduktion des motorisierten Individualverkehrs (MIV), z. B. durch Erweiterung des verkehrsberuhigten Innenstadtbereichs
- Weniger ebenerdige Parkplätze, wodurch mehr Straßenfläche für den Fuß- und Radverkehr sowie mehr Entsiegelungsmöglichkeiten entstehen
- Ausbau des ÖPNV, insbesondere in den Außenbereichen des Stadtgebiets sowie in der Angebotsvielfalt
Unsere Vorschläge werden in einem Plan “Vision Verkehrswende Jena” festgehalten.
Ausführliche Fassung:
Hohe Lebensqualität ist immer auch mit einem hohen Maß an Mobilität verbunden. Insbesondere seit den 90er Jahren wird jedoch unter Mobilität vorzugsweise ein möglichst frei fließender Autoverkehr sowie die Vorhaltung möglichst vieler frei nutzbarer Parkplätze verstanden.
In Jena gibt es heute einen Bestand von über 45.000 Personenkraftwagen (1) – Autos sind hier allgegenwärtig. Prinzipiell können die, denen sie gehören, mit ihnen bequem zu jeder Zeit ein beliebiges Ziel erreichen. Mit diesem Komfort sind jedoch Probleme verbunden: Neben den individuellen Kosten für Anschaffung, Steuern, Versicherung, Wartung und Energie, die privat getragen werden, zahlt auch die Gesellschaft insgesamt – auch die, die keinen PKW besitzen. Neben dem Verbrauch öffentlicher Fläche für Straßen und Parkraum ist der Grund dafür vor allem die mit dem Kraftfahrzeugbetrieb verbundene Emission von Schadstoffen. Der Verkehr verursacht bundesweit nahezu 20% der Gesamtemissionen an Klimagasen, wovon wiederum fast zwei Drittel den PKW zuzurechnen sind. Hinzu kommen Probleme wie Lärmemission, Sicherheitsfragen, Folgekosten von Unfällen usw.
In Jena werden 36% der Wege mit dem Auto erledigt (sog. Modal Split) (2). Der Anteil der Nutzung der Verkehrsmittel des sog. Umweltverbundes (zu Fuß zurückgelegte Wege, Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs oder eines Fahrrades) beträgt etwa 66%. Dies steht mindestens in umgekehrtem Verhältnis zu den Umweltbelastungen der Verkehrsarten, sowohl, was den Ausstoß von Treibhausgasen betrifft, als auch beispielsweise den Flächenverbrauch. Insbesondere in der Innenstadt ist das immense Volumen des MIV problematisch. Durch die Kessellage der Stadt heizt sich Jena an heißen Tagen hier besonders auf und es entsteht durch den Verkehr induziert eine hohe Ozon- und Stickoxidbelastung.
Damit Jena sein im Klimaaktionsplan festgelegtes Ziel der Klimaneutralität bis 2035 erreichen kann, muss das Mobilitätsverhalten so verändert werden, dass im Ergebnis der MIV deutlich reduziert ist. Ein erster Schritt kann sein, den öffentlichen ebenerdigen Parkraum in der Innenstadt zu verkleinern und einen Teil der Straßen für den Durchgangsverkehr zu sperren.
Der gewonnene Platz soll für Fahrradwege und Fußgängerzonen, aber auch für Bäume, Büsche und Wasserflächen genutzt werden. Das Aufbrechen von betonierten und asphaltierten Flächen macht das Stadtklima im Sommer kühler und ist gleichzeitig eine Schutzmaßnahme gegen Extremwetterereignisse (Schwammstadt-Prinzip).
Ein weiterer Schritt zur Reduzierung des MIV muss der Aufbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Jena sein. Hier geht es zuerst um Steigerung seiner Attraktivität durch eine qualitative Verbesserung der Anbindung äußerer Ortsteile, eine dichtere Taktung insbesondere in den Tagesrandlagen und nachts sowie Barrierefreiheit an allen Haltestellen. Des Weiteren muss die Nutzung des ÖPNV gegenüber dem MIV preislich vorteilhaft sein. Das betrifft insbesondere die Nutzung auf relativ kurzen Strecken (beispielweise durch mobilitätseingeschränkte ältere Menschen, denen 5 € für zwei Stationen zum Arzt oder Einkauf zu teuer sind und die deshalb lieber ihren PKW benutzen).
Diese und weitere Ideen sollen in einen Verkehrswendeplan münden, mit dem unsere Vision von einem klimafreundlichen Jena anschaubar und realisierbar gemacht werden kann. Der Verkehrswendeplan soll ein Vorschlag sein, wie eine menschenfreundliche Mobilität in Jena aussehen könnte. Dabei soll der Umweltverbund, also Fußgänger, Fahrradfahrer und der ÖPNV, im Vordergrund stehen. Bestehende Pläne, wie z. B. der neue Radverkehrsplan, sollen einbezogen werden.
Quellen:
(1) https://statistik.thueringen.de/datenbank/TabAnzeige.asp?tabelle=kr001003||